Verfassungsschutz unter Beschuss: Neue Staatsfeinde oder überzogene Maßnahmen?
„Die Guten dürfen und können sich nicht verstecken“, sagt der Thüringer Verfassungsschutzchef Stephan Kramer. Seit der Corona-Pandemie hat der Verfassungsschutz ein neues Beobachtungsziel: Bürger, die sich der „Delegitimierung des Staates“ verdächtig machen. Doch damit ist er zu weit gegangen! Eine Abrechnung mit dem deutschen Inlandsgeheimdienst.
Neue Staatsfeinde in Deutschland?
Die Pandemie ist vorbei, es gibt keine Maskenpflicht mehr, keine Impfkampagnen und auch keine Demonstrationen gegen die Maßnahmen. Aber die neuen Staatsfeinde sind noch da, sie werden sogar mehr. Mittlerweile sind es 1600 im gesamten Bundesgebiet, so schreibt es jedenfalls der Verfassungsschutz in seinem neuen Jahresbericht. Sie treten in losen Gruppen auf oder jeder für sich allein. Ihre bevorzugten Waffen scheinen Smartphones und Computer zu sein, denn sie sind vor allem in den sozialen Netzwerken und in Chats aktiv. Ihre Lieblingsapp heißt Telegram. Dort schimpfen sie in überzogenem Ton auf Politiker oder rufen andere dazu auf, die Vorschriften von Behörden nicht zu befolgen. Sie haben sich nach Corona neue Themen gesucht: die Klimapolitik, den Ukrainekrieg, die Inflation. Sie beteiligen sich an der „ständigen Verächtlichmachung“ von Institutionen des Staates. Eine „offene Ablehnung der Demokratie als solcher“ kann bei den meisten von ihnen zwar nicht festgestellt werden. Trotzdem stehen sie im Verfassungsschutzbericht. In der Rubrik: „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“.
„Delegitimierung des Staates“: Ist ein Umsturz geplant?
Es gibt sie erst drei Jahre, seit der Corona-Pandemie. In der Sprache der Behörde handelt es sich um einen neuen „Phänomenbereich“, der seitdem neben Linksextremismus, Rechtsextremismus, Islamismus oder Spionage für fremde Mächte systematisch beobachtet werden muss. Der Verfassungsschutz hat seine Überwachung der Bürger damit noch einmal ausgedehnt. Auf Menschen, die seiner Ansicht nach „das Vertrauen in das staatliche System erschüttern und dessen Funktionsfähigkeit beeinträchtigen“ wollen. Auch wenn sie sich keine rechte oder linke Diktatur herbeiwünschen. Wollen sie einen Umsturz anderer Art? Unklar. Die Demonstrationen der Szene seien zuletzt selten und schlecht besucht gewesen. Wer die 1600 gezählten „Akteure“ sind, lässt der Bericht offen. Aber 250 von ihnen stuft er als gewaltbereit ein.
Kritik an der neuen Überwachung
Mit der „Delegitimierung des Staates“ hat sich der Verfassungsschutz ein neues Arbeitsgebiet erschaffen, gegen das sich Widerstand regt. Wolfgang Kubicki, FDP-Politiker und Vizepräsident des Bundestags, gehört zu den Kritikern. Der Vorwurf der Delegitimierung sei „hinreichend unscharf“ definiert, sagt er, zu „beliebig anwendbar“. So könnten „auch extreme, aber zulässige Meinungsäußerungen“ dazu führen, ins Visier der Verfassungsschützer zu geraten. Letztlich könne der Vorwurf sogar Satirikern gemacht werden.
Mathias Brodkorb, ehemals Bildungs- und Finanzminister von Mecklenburg-Vorpommern und Autor eines neuen Buchs über den Verfassungsschutz, sagt, die Kategorie sei eine „Panikreaktion des Staates in der Pandemie“ gewesen, ein „Griff in die Giftkiste“ – der schleunigst rückgängig gemacht werden sollte.
Verfassungsschutz: Eine lange Geschichte des Versagens
Zu den grundsätzlichen Zweifeln am Verfassungsschutz kommt die lange Geschichte seines Versagens und seiner Skandale. Echte Staatsfeinde, wie die rechtsradikale Terrorgruppe NSU, hat der Verfassungsschutz allzu oft nicht aufgespürt. Er hat weder die Mordserie der Neonazis noch den Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz im Dezember 2016 mit zwölf Toten verhindert. Ein Antrag auf ein Verbot der NPD scheiterte, weil der Verfassungsschutz zahlreiche V-Leute in die Parteiführung eingeschleust hatte.
Seit Jahrzehnten wird der Verfassungsschutz kritisiert, seine Abschaffung gefordert. Gegner nennen ihn eine „Gewissenspolizei“ und fragen: Warum braucht Deutschland ihn? Weder in den USA noch in Großbritannien oder Frankreich gibt es einen Inlandsgeheimdienst, „der die eigene Bevölkerung nach politischen Kriterien scannt“, wie es der Verfassungsschutzexperte und Journalist Ronen Steinke nennt.
Fazit
Der Verfassungsschutz hat sich in den letzten Jahren immer weiter ausgedehnt und neue Aufgabenfelder erschlossen. Doch diese Ausdehnung ist nicht unumstritten. Die Kritik an der neuen Kategorie „Delegitimierung des Staates“ ist laut und kommt aus verschiedenen politischen Lagern. Es bleibt abzuwarten, wie sich diese Debatte weiterentwickelt und ob der Verfassungsschutz seine umstrittenen Methoden beibehalten wird.
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