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02.09.2024
06:06 Uhr

Corona-„Furchtappell“: Politik drängte Expertenrat zu Änderung in Stellungnahme

Corona-„Furchtappell“: Politik drängte Expertenrat zu Änderung in Stellungnahme

Jüngst veröffentlichte Sitzungsprotokolle und E-Mails aus dem Expertenrat der Bundesregierung zur Corona-Pandemie legen massive Einflussversuche der Politik offen. Die Bundesregierung drängte demnach auf die Streichung von Daten aus einer Stellungnahme zu Long COVID und wollte einen „Furchtappell“ durchsetzen.

Massive Einflussnahme der Politik

Nach den sogenannten RKI-Files sind nun weitere Dokumente aufgetaucht, die Einblick in die Entscheidungsfindung von Politik und Experten während der Corona-Jahre geben. Das Bundeskanzleramt hatte sich unter Androhung einer Klage der „Welt am Sonntag“ nach dem Informationsfreiheitsgesetz bereiterklärt, Protokolle und E-Mails des Expertenrates der Bundesregierung freizugeben. Besonders brisant sind die Erkenntnisse zum Thema Long COVID.

Politik und Expertenrat: Einblicke in die Entscheidungsprozesse

Am Samstag, dem 31. August, veröffentlichte die „Welt am Sonntag“ ein 468 Seiten umfassendes Konvolut an Dokumenten. Neben den Sitzungsprotokollen des im Dezember 2021 von Bundeskanzler Olaf Scholz eingesetzten Expertenrats enthält es auch Schriftwechsel zwischen dem Gremium und dem Kanzleramt.

Bereits im Frühjahr 2022 deutete der Expertenrat an, dass die Entwicklung des Corona-Geschehens allzu weitreichende Pandemiemaßnahmen nicht mehr als zwingend erscheinen ließ. So wurde im Protokoll vom 24. Mai des Jahres erstmals eine mögliche Kehrtwende ins Spiel gebracht.

Corona-Kehrtwende im Mai 2022 möglich

Im Protokoll zur Sitzung jenes Tages hieß es, es sei wichtig, sich „grundlegend zu einigen“, ob sich der Expertenrat „von der Containment-Strategie ganz lösen möchte oder diese noch verfolgt“. Eine Woche später war bereits die Rede von hoher Immunität, geringerer Krankheitsschwere und „vermutlich geringen“ Long-COVID-Fällen.

Für die Bundesregierung hätte es demnach eine Option gegeben, in Abstimmung mit dem Expertenrat eine grundlegende Wende in der Ausrichtung der Corona-Politik herbeizuführen. Am 28. Juni war die Rede davon, dass Behandlungskapazitäten in Kliniken fehlten. Dies sei allerdings nicht auf eine hohe Patientenzahl, sondern auf Personalknappheit zurückzuführen.

Politik drängte auf Anpassungen bei Long COVID

Von besonderer Brisanz sind die aus den Dokumenten hervorgehenden Bemühungen der Politik, ein beständiges Level an Angst vor Corona in der Bevölkerung aufrechtzuerhalten. Dafür war man auch bereit, den Expertenrat, der „der Pandemiebekämpfung eine stärkere Sachgrundlage“ geben sollte, unter Druck zu setzen.

Exemplarisch zeigen das die Kommentierungen eines Entwurfs des Gremiums zu einer Stellungnahme zum Thema „Long COVID“. Diese wurde am 15. Mai 2022 veröffentlicht. Die Ursprungsfassung wies eine Passage auf, die auf die Myalgische Enzephalomyelitis (ME/CFS) einging. Diese neuroimmunologische Erkrankung könne infolge der Pandemie deutlich ansteigen, meinte der Expertenrat.

Bundesregierung setzte auf „klare Taktik der Angst“

Professor Christoph Kleinschnitz, Chef der Neurologie an der Uniklinik Essen, hält einen Zusammenhang zwischen Long COVID und ME/CFS für wissenschaftlich nicht belegt. Gegenüber der „Welt am Sonntag“ äußert der Schwerpunktforscher zu Long COVID: „ME/CFS kann nicht nur durch Infekte hervorgerufen werden. Die Ursache ist letztlich unklar.“ Zudem sei nicht nachvollziehbar, worauf sich die Zahlen bezüglich der Erkrankungen der Kinder stützten.

Kleinschnitz warf der Bundesregierung vor, mit Blick auf Long-COVID eine „klare Taktik der Angst“ zu fahren. Dass diese Einschätzung nicht völlig substanzlos gewesen sein dürfte, zeigt sich am Protokoll vom 29. August 2022. In diesem ist die Rede davon, dass man vonseiten der Bundesregierung einen „Furchtappell“ an jüngere Personen im Kontext von Long COVID richten wolle.

Expertenrat warnte vor „schwer kontrollierbarem Gewaltpotenzial“

Mit Fortdauer der Zeit zeigte sich, dass sowohl Häufigkeit und Schwere der Symptome bei Corona-Fällen als auch die Akzeptanz der Pandemiemaßnahmen rapide sanken. Am 12. Dezember 2022 war das zunehmende Protestgeschehen ein Thema im Expertenrat. „Individuell wahrgenommene COVID-Belastung“ korreliere mit „den politischen Intentionen zu Chaos/Systembruch und Radikalisierung“, hieß es im Protokoll.

Diese teilten in ausgewerteten Samples „jeweils etwas unter zehn Prozent – was auf ein beachtliches und staatlicherseits wohl schwer kontrollierbares Gewaltpotenzial“ hinweise.

Verheerende Lockdown-Auswirkungen auf Schulen

Am 18. Mai 2022, dem Tag der „frisierten“ Long-COVID-Stellungnahme, wies Kanzleramts-Juristin Susanne Jaritz in einer Mail auf eine Information aus dem Bundesforschungsministerium hin. Diese lasse einen „nicht gerade optimistischen Stand“ zur Digitalisierung in Schulen erkennen. Die Mail thematisierte damit zum ersten Mal auf dieser Ebene, wie verheerend die Lockdown-Auswirkungen auf Kinder und das Schulwesen sein würden.

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