Berlin-Gipfel: Einigkeit über EU-Erweiterung auf dem Westbalkan
Am 10. Gipfeltreffen des Berlin-Prozesses, das am Montag in Berlin stattfand, nahmen unter anderem der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán und Bundeskanzler Olaf Scholz teil. Die Initiative, die vor zehn Jahren unter der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel ins Leben gerufen wurde, zielt darauf ab, die Zusammenarbeit zwischen den Ländern der Westbalkanregion zu stärken und die EU-Erweiterung voranzutreiben.
Stärkung der Zusammenarbeit
Orbán kam zum Berlin-Prozess als Vertreter des Landes, das die rotierende EU-Ratspräsidentschaft bis zum 31. Dezember innehat. Die EU-Erweiterung auf dem Balkan ist eine der Hauptprioritäten der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft. Die Länder Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien haben alle eine EU-Beitrittsperspektive. Der Berlin-Prozess umfasst Bereiche der Kooperation mit diesen Ländern in Themen wie Rechtsstaatlichkeit und wirtschaftliche Entwicklung. Auch Bildung und Wissenschaft sowie zivilgesellschaftlicher Dialog stehen im Fokus des Prozesses.
Einvernehmen zwischen Ungarn und Deutschland
Vor einem Monat lud die ungarische Regierung die EU-Berater der Ministerpräsidenten und Präsidenten der Westbalkanländer zu einem Treffen in Ungarn ein. Bei dem zweitägigen Treffen in Szeged wurde der Stand des Beitritts der Westbalkanländer und die damit verbundenen Pläne der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft besprochen. Orbáns Regierungssprecher betonte damals, dass eine schrittweise Integration, also der Zugang zu bestimmten EU-Programmen schon vor dem Beitritt für alle Beteiligten vorteilhaft sei.
Die ungarische Position lautet, dass die Europäische Union ohne den Beitritt der Länder der Region nicht vollständig sein könne, da dieser aus wirtschaftlicher, sicherheitspolitischer und geopolitischer Sicht für die Europäische Union als Ganzes von Vorteil sei. „Die Europäische Union ist nur vollständig mit den Ländern des westlichen Balkans in der EU“, sagte auch Scholz am Montag in Berlin.
Herausforderungen und Konflikte
Die Europäische Union stellte den Westbalkanländern vor mehr als 20 Jahren eine Mitgliedschaft in Aussicht. Als derzeit aussichtsreichster Kandidat gilt Montenegro. Teilweise behindern aber regionale Konflikte den Aufnahmeprozess. So etwa im Fall von Serbien, das die Unabhängigkeit seiner ehemaligen Provinz Kosovo nicht anerkennt. Die Unabhängigkeit des Kosovo ist auch innerhalb der EU umstritten. Scholz appellierte, es brauche eine „neue Dynamik beim Normalisierungsprozess“ zwischen Serbien und Kosovo. „Ich möchte also Folgendes an unsere Freunde aus Belgrad und Pristina sagen: Lassen Sie die Vergangenheit Sie nicht zurückhalten auf dem Weg in eine friedliche und wohlhabende Zukunft.“
Von der Leyen mahnt zur Vorsicht
Auf dem Weg zu einem EU-Beitritt der Westbalkan-Staaten ist bei dem Gipfel ein Aktionsplan für einen gemeinsamen regionalen Markt auf den Weg gebracht worden. Dieser werde helfen, die Sozial- und Arbeitsstandards zwischen den Ländern noch besser zu koordinieren, sagte Scholz auf der Pressekonferenz nach dem Treffen. Außerdem wurde unter anderem eine gemeinsame Erklärung vereinbart, um bei der Bekämpfung irregulärer Migration und organisierter Kriminalität enger zusammenzuarbeiten.
Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen lobte die Vereinbarungen. Sie betonte, dass die EU die Region in den vergangenen zehn Jahren finanziell stark unterstützt hat. So habe die EU „in Höhe von einer Milliarde Euro geholfen, mit den hohen Energiekosten umzugehen“ und mit 30 Milliarden Euro werde auch der Prozess der Energieunabhängigkeit der Region unterstützt. Zugleich warnte sie in ihrer Stellungnahme jedoch. Die vergangenen Jahre hätten nämlich gezeigt, worauf im Beitrittsprozess besonders geachtet werden müsse. Die EU müsse „Lehren aus der Erweiterungsrunde 2004 ziehen“, betonte sie.
Die erste Voraussetzung sei „die Anpassung und Übernahme unserer Werte, der Respekt für Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit“. Die zweite Bedingung sei die frühe wirtschaftliche Integration.
Treffen von Scholz und Orbán
Während ihres Treffens im Bundeskanzleramt besprachen Scholz und Orbán die weiteren Ziele des ungarischen EU-Ratsvorsitzes. Sie konzentrierten sich insbesondere auf die Wiederherstellung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit. Orbáns Pressesprecher gab diese Einzelheiten des Treffens bekannt. Scholz hat seinerseits jedoch keine Erklärung abgegeben. Es gab auch keine Pressekonferenz nach dem Treffen.
Ein Vertreter der Thinktanks MCC (Mathias Corvinus Collegium), das der Orbán-Regierung nahesteht, wurde in der ungarischen Presse zu dem Treffen befragt. Bence Bauer, Direktor des Ungarisch-Deutschen Instituts am MCC, sagte, dass Ungarn das Land sei, das sich am stärksten für die Integration des Westbalkans eingesetzt habe. In Bezug auf die Beziehungen zwischen den Regierungen von Ungarn und Deutschland sei dies jedoch im Großen und Ganzen auch der wichtigste Punkt, in dem sich die Spitzenpolitiker derzeit einig seien, so Bauer.
„Die ungarische Regierung scheint ein Gegenpol zur deutschen Regierung zu sein, und bei wichtigen Themen wie Wirtschaftspolitik, Migration, wirtschaftliche Entwicklung, Sozialpolitik und geopolitischen Fragen haben die beiden Länder unterschiedliche Ansichten. Das erklärt, warum die politischen Beziehungen derzeit nicht sehr rosig sind. Die deutsche Regierung will eine ganz andere gesellschaftspolitische Vision umsetzen als die ungarische“, so Bauer.
Dem Experten zufolge könnten Scholz und Orbán auch über die Zölle auf chinesische Elektroautos gesprochen haben. Er fügte hinzu, dass die beiden Regierungschefs in dieser Frage auf der gleichen Seite stehen. Auch Migrationsfragen könnten zwischen den beiden Politikern besprochen worden sein. Deutschland habe „nach neun Jahren erkannt, dass Migration nicht unbedingt gut ist und es viele Herausforderungen zu bewältigen gibt. So zum Beispiel in den Bereichen Wohnungsbau, Sozialleistungen, Bildung, Finanzen und sogar öffentliche Sicherheit“, sagte Bauer.
Auch um die Herausforderung der Migration zu bewältigen, ist die EU-Erweiterung auf dem westlichen Balkan ein wichtiges Thema. Nach dem Treffen am Montag in Berlin begannen nun am Dienstag in Luxemburg die Verhandlungen der EU mit Albanien über dessen Beitritt zum Staatenbund.
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